Science Fiction in der Marktforschung
"Apparative" Methoden sind bereits Klassiker in der Marktforschung: Immer interessant, irgendwie cool, sind sie zugleich aber immer eine Nische im Methodenmix geblieben.
Sie dienen entweder dazu, die Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Emotion oder Präferenz von Konsumenten unmittelbar zu messen. Die Verfälschungstendenzen durch
bewusstes Erinnern, Urteilen und Verbalisieren fallen somit weg. Oder es findet doch eine Befragung statt, die mittels "apparativer" Hilfe Teile der Realität simuliert,
die sonst nicht oder nur unter großem Aufwand dargestellt werden könnte.
Von der Schnellgreifbühne in die virtuelle Realität
Mein erstes Erlebnis mit apparativen Methoden war äußerst eindrucksvoll. Die Schnellgreifbühne unseres damaligen Hochschulinstituts diente der unmittelbaren Präferenzmessung.
Produktvarianten — beispielsweise verschiedene Bierflaschen — wurden in regalähnlicher Situation für wenige Sekunden exponiert, und die Probanden trafen mittels Zugreifen
eine schnelle Kaufentscheidung. Dieses Gerät machte dem Begriff Apparat alle Ehre: Groß, schwer, komplex und irgendwie furchteinflößend. Als Student sah ich vor meinem
geistigen Auge immer abgetrennte Hände — für den Fall, die Mechanik hätte sich schneller geschlossen, als der Proband hätte reagieren können. Etwas weniger bedrückend
wirkte ihr kleiner Bruder, das Tachistoskop. Aber auch hier war viel robuste Mechanik am Werk, um die Wirkung von flüchtiger Wahrnehmung von Produkten oder Anzeigen zu
simulieren. Sensationell futuristisch erschien uns dagegen die Ankündigung eines unserer Psychologieprofessoren, mittels eines kleinen, batteriegespeisten Kästchens namens
Vitaport physiologische Daten wie Blutdruck oder Hautwiderstand mobil und damit außerhalb des Labors messen zu können.
Schnellgreifbühne, Tachistoskop und selbst Vitaport in der damaligen Form sind heute längst in Rente und haben neuen Geräten Platz gemacht. Diese sind zwar meist weniger
eindrucksvoll, aber dafür umso intelligenter. Chips, Bits und Bytes haben die aufwändige Mechanik weitestgehend verdrängt. Blickregistrierung (ohne störende Brille),
automatisierte Emotionsmessung über die Mimik, Hirnscans und das Eintauchen in virtuelle Realitäten sind nur Beispiele für den Einsatz neuer Techniken in der Marktforschung.
Wie weit wir heute damit sind, bringt Isaac Rogers von 20|20 Research auf den Punkt: "A researcher in 2015 has at his disposal an array of tools that would read almost like
science fiction to a researcher from 2005". Und da wir methodisch erst am Anfang der digitalen Welle stehen, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass uns die Forschung 2030 aus
heutiger Sicht erst recht erscheinen wird wie aus einer anderen Galaxie.
Einblick und Ausblick
In unserem diesjährigen "Adventsdossier", das der Jahreszeit entsprechend etwas weniger umfassend ausfällt als gewohnt, geben wir Ihnen einen Einblick in den derzeitigen
Status Quo und zugleich einen Ausblick: Welche Methoden werden heute schon erfolgreich eingesetzt, und was ist in der Pipeline? Und wie werden die fortschreitende
Virtualisierung, die kontinuierliche Ortung, die Omnivernetzung durch Wearables (physiologische Messungen inklusive) und das Internet der Dinge bis hin zur Implantation
von Chips in den menschlichen Körper nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Marktanalyse in der weiteren Zukunft verändern?
Die "apparative" Messung (auch wenn der Begriff in diesem Kontext antiquiert wirkt) verlässt die Nische und wird omnipräsent. Zugleich verschmelzen aktive und passive
Methoden, Marktforschung und Big Data. Frei nach George Orwell: "Market Research is watching you" – nur hoffentlich für einen guten Zweck und ohne die totalitären
Nebenwirkungen.
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